Anmerkungen zu Bibel, Homosexualität und Kirche angesichts professoraler und bischöflicher Äusserungen

02.11.2020 Adamim

 

Biblische Texte kontextbezogen ernst statt wörtlich nehmen

Wer heute mit Berufung auf biblische Texte gelebte Homosexualität diffamiert, offenbart seine Ignoranz in Bezug auf die Hermeneutik biblischer Texte. Sich auf biblische Texte zu berufen, ohne deren sozio-historisch-kulturellen Kontext zu berücksichtigen, geht fundamentalistisch mit der Bibel um. Dieser Umgang ist der einzige, den das Dokument der Päpstlichen Kommission von 1993 Die Interpretation der Bibel in der Kirche ablehnt, wenn es darin heisst: „Eine unmittelbar buchstäbliche [...] Interpretation der Bibel [...] steht im Gegensatz [zu einer] wissenschaftlichen Interpretationsmethode der Heiligen Schrift.“ Nach Pinchas Lapide „gibt [es] im Grunde nur zwei Arten des Umganges mit der Bibel: man kann sie wörtlich nehmen oder man nimmt sie ernst. Beides zusammen verträgt sich nur schlecht.“ Die fundamentalistische Berufung auf einen biblischen Text zur ethischen Verurteilung von gelebter Homosexualität heute nimmt diesen wörtlich statt ernst.

 

Mehrdimensionalität und Vielfalt von Sexualität anerkennen

Die biblischen Texte, die gleichgeschlechtliches Verhalten verurteilen, müssen vor dem Hintergrund gelesen werden, dass in biblischen Zeiten eine auf das eigene Geschlecht orientierte Sexualität unbekannt war. Spätestens im Laufe des 19. Jahrhundert hat sich das geändert. Wer heute behauptet, es gebe nur die eine - heterosexuelle - Orientierung, offenbart seine humanwissenschaftliche Ignoranz. Seitdem die World Health Organisation (WHO) der UNO in ihrer International Classification of Diseases (ICD) und die American Psychiatric Association (APA) in ihrem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) Homosexualität nicht mehr als Krankheit aufführen, ist davon auszugehen, dass es neben der heterosexuellen auch andere Orientierungen als Möglichkeiten menschlicher Sexualität gibt. Homo- und bisexuelle Orientierungen „können als eigene anthropologisch gegebene Grunddispositionen menschlicher Sexualität betrachtet werden“ (Udo Rauchfleisch im Lexikon für Theologie und Kirche).

 

Schuld und Irrtümer der Kirche eingestehen und abbauen bzw. aufgeben

Mit ihrer über Jahrhunderte betriebenen Verurteilung gelebter Homosexualität hat die römisch-katholische Kirche grosse Schuld auf sich geladen. Erst im Bündnis mit ihr erliess Kaiser Justinian 534 das erste Gesetz gegen Homosexuelle und drohte diesen die Verbrennung als Strafe an. Später wurden sie – wie etwa 1482 in Zürich ein Ritter und sein Knecht – bei lebendigem Leibe verbrannt und von den Nazis in Konzentrationslager gesteckt, wo nicht wenige von ihnen ermordet wurden. Die verschiedenen Erklärungen von Papst Franziskus sind ein erster kleiner Schritt, die Mitschuld der Kirche an den Homosexuellen abzutragen. Noch aber steht aus, dass die römisch-katholische Kirche ihre drei humanwissenschaftlichen Irrtümer in Bezug auf Sexualität aufgibt: Erstens den seit Augustinus herrschenden Sexualpessimismus heidnischen Ursprungs (Michel Foucault). Zweitens das auf biologische Fortpflanzung reduzierte Missverständnis menschlicher Sexualität. Drittens die heterosexistische Verabsolutierung und die damit verbundene Diffamierung von homo- oder bisexuell gelebter Sexualität.