Brokeback Mountain

Zu wahr, um wahr sein zu dürfen?

Mindestens seit den legendären Filmen "Coming out" oder "Die Konsequenz" wird versucht, im offiziellen Kinofilm Homosexualität zu thematisieren. Inzwischen sind eine ganze Reihe wirklich grossartiger Streifen entstanden. Vor etwa eineinhalb Jahren hat der deutsche Regisseur Marco Kreuzpainter "Sommersturm" ins Kino gebracht, in dem der junge Tobi (gespielt von einem fantastischen Robert Stadlober) sein Schwulsein entdeckt und akzeptiert. All diese Filme werden gelobt, erringen Preise, haben ihre Zuschauer, aber sie bewegen sich nicht im Mainstream und werden darum von der grossen Masse übersehen. Mit "Brokeback Mountain" ist jetzt etwas Neues passiert. Der Film hat das Interesse der ganz grossen Weltöffentlichkeit geweckt. Nicht zuletzt, weil er alles gewonnen hat, was bisher zu gewinnen war, sondern auch wegen seiner 8 Oscarnominationen, von denen er allerdings nur drei bekommen hat. Er war der Favorit für den besten Film. Aber seine Chancen standen schlecht, denn es sollen sich etliche Jurymitglieder dieser so genannten Königskategorie geweigert haben, den Film überhaupt anzuschauen. Hier zeigt sich die wahre Problematik. Homosexualität ist noch immer für viele Menschen etwas Böses, das man von sich wegstossen muss. Dass viele kirchliche Kreise sowieso ihre Mühe haben, ist bekannt. Die katholische Nachrichtenwebseite "Kreuz.net" etwa beschreibt den Film so: "Es handelt sich um einen Homo-Propagandafilm, bei dem zwei sodomistische Cowboys im Zentrum stehen." Aber alle diese kritischen Stimmen belegen ja nur, was der Film gerade zeigen will: Es geht um eine Liebe, die nicht sein kann, weil sie nicht sein darf.

Heinz Angehrn hat für unsere Webseite einen Bericht verfasst, der berührt:

 

"Weil sie sehr früh lernen, Homosexualität zu hassen, wachsen viele junge Menschen mit homosexuellen Impulsen auf, indem sie sich selbst hassen. Sie glauben, etwas stimme mit ihnen nicht, bevor sie begreifen, dass es die Gesellschaft ist, mit der etwas nicht stimmt." (Aus der Kritik des taz zu "Brokeback")

Was bleibt nach diesem Film? Trauer ja, noch mehr aber Wut, grosse Wut im Gedenken an die vielen Betroffenen, die kaputten promisken Männer, die den Weg in die Promiskuität unter anderen gesellschaftlichen Bedingungen nicht hätten gehen müssen, die zutiefst enttäuschten und desillusionierten Frauen, die Jahrzehnte neben einem Partner lebten, der sie nur als Alibi und Attrappe brauchte, um sich nicht ins Gesicht sehen zu müssen, die alternden Väter und Mütter, die heute weinend im Kino sitzen, nachdem auch sie es nicht fertig brachten, mit ihren Söhnen offen und klar zu reden.

Ang Lee hat uns einen wunderbaren Film geschenkt. Er ist nicht locker Oscar-tauglich, er enthält dafür zu viele fein verborgene optische und verbale Kostbarkeiten, die erst beim zweiten, beim dritten Mal Sehen entdeckt werden können. Er fokussiert sich nicht - was man bei dem Thema wirklich tun könnte - auf wunderschöne Körper, sondern auf Gesichter, Blicke, Sprachfetzen. Sie erzählen von der grossen, eigentlich einzig wahren und - das kitschige Wort sei erlaubt - reinen Liebe zwischen Jack und Ennis. Doch wer wie Ennis schon als Bub gelernt hat, dass Homosexualität widernatürlich, gegen Gott und Moral stehend und darum schliesslich in die Katastrophe führend ist, der wird immer viele und auch gute Gründe finden, warum er nicht mit dem Mann zusammenleben kann und will, den er wahrhaft liebt. Und wer wie Jack sexuell hungrig und einsam ist, der braucht dann eben diese widerlich dreckige Welt, in der Männer nichts verbindet als die schnelle und - wenn (man)n älter wird - bezahlte körperliche Begegnung. "Es waren zwei Königskinder ... die konnten zueinander nicht kommen ... der Graben war viel zu tief", wie traurig und aussichtslos wird uns dieses alte Lied im Blick auf die Liebe von Ennis und Jack neu erzählt. Jack wird von homophoben Kumpanen des George W. und des 16.Benedikt totgeschlagen, Ennis bleibt einsam zurück. "Jack, I swear ...", so der letzte Satz des Films, der Satz des wortkargen Ennis, wie er das alte Photo und ihre Hemden aus der Zeit des Anfangs betrachtet. Was hätte er geschworen? Dass er seine einzige Liebe war, dass er Frau und Töchter enttäuschen musste, dass er eben keine Chance hatte ... Das tut weh.

Es bleibt nicht viel Hoffnung nach dem Film. Der verbitterte und müde Vater von Jack, der Jahre lang die Träume seinen Sohnes anhören musste, mit einem Partner die Farm zu übernehmen und auf Vordermann zu bringen, und nun nach dessen Tod nichts mehr als Härte spürt, hätte er denn diesen Partner je akzeptiert? Der Sohn von Jack und die Töchter von Ennis, was würden sie von ihren Vätern hören, wissen, wissen dürfen? Dass die Asche von Jack, nicht wie von ihm ausdrücklich gewünscht, in den Brokebacks, dem einzig ehrlichen Ort seines Lebens, ausgestreut werden kann, sondern (Entschuldigung, liebe/r Leser/in) in scheissig-spiessigen Familiengräbern versteckt wird, wie schrecklich. Die einzige Hoffnung schenkt uns Alma jr., die ältere Tochter von Ennis, wortkarg wie er, aber zum Kampf um Veränderung bereit. Ob er von ihr (noch) lernen kann und will?

Geht diesen Film schauen, er ist es wirklich wert, beachtet zu werden! Aber geht nicht hin mit der alten und altklugen Bildungsbürger-Brille: "Ach wie schön, ach wie traurig, ach wie interessant, man kann viel lernen ..." Sondern geht hin und lernt zwei Dinge. Erstens dass Rosa von Praunheim mit nichts so recht hatte wie mit dem Satz "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt". Die Schuld an der Ausgrenzung, die Schuld an so viel physischer und psychischer Zerstörung, sie ist keine individuelle, sondern eine kollektive; die Heilung, die nötig ist, ebenso. Und zweitens darum, dass es endlich an der Zeit ist, Buben anders zu erziehen, dass Väter, Mütter, Erzieher und Kirchenvertreter in diese Pflicht genommen werden müssen, auch wenn es ihnen nicht passt.

Und wenn Ihr euch das vorgenommen hat, dann könnt Ihr "Brokeback mountain" auch geniessen: Die herrlichen Bilder der Rockies, die alte Pfadfinder-Romantik, die aufflackern darf, der Traum, selber auszubrechen aus diesen steifen und engen Kleinstadt-Welten. Ja vielleicht wagt Ihr es ja, einen Traum nicht mehr nur zu träumen, sondern zu leben?

von Heinz Angehrn