Priestertum und Homosexualität

Nun ist es da, das lang angekündigte Vatikan-Dokument („Instruktion über Kriterien zur Berufungsklärung von Personen mit homosexuellen Tendenzen im Hinblick auf ihre Zulassung für das Priesteramt und zu den heiligen Weihen“). Roma locuta - causa finita?? Hoffentlich nicht, denn da wäre noch einiges anzumerken und auszudiskutieren. In dem Sinne hier einfach mal aufgelistet wesentliche Punkte, die auf den Tisch müssen:

Anlass dieses Dokuments und der besonderen Fragestellung ist die aktuelle Situation. Explizit wird nicht der Skandale um pädosexuelle Übergriffe in den USA erwähnt, aber dies dürfte wohl beim Hinweis "die aktuelle Situation" gemeint sein. Denn "es dürfen in keiner Weise die negativen Konsequenzen übersehen werden, die aus der Weihe von Personen mit tief sitzenden homosexuellen Tendenzen entstehen werden". 

Man schlägt den Esel und meint den Sack. Einmal mehr werden Homosexuelle diffamiert, statt die tatsächlichen Skandal in den USA an der Wurzel anzugehen. Homosexualität und Pädosexualität sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe!! Leider bringt sie die Kirche trotz aller Aufklärung immer noch! durcheinander. Das ist Ignoranz des heutigen Wissenstandes. 

Grundsätzlich wird die Haltung der katholischen Kirche zur Homosexualität wiederholt. Für Priesteramtskandidaten gibt es aber doch eine Verschärfung. Neben praktizierter Homosexualität gelten neu auch als Weihehindernis: "Tiefsitzende homosexuelle Tendenzen" und "Unterstützung der sogenannten Gay-Kultur". 

Faktisch heisst das, dass schwule Männer nicht mehr Priester werden können, auch dann, wenn sie keusch leben. Homosexualität als Weihehindernis. Offen bleibt, wann eine homosexuelle Tendenz tiefsitzend ist? Wie wird dies abgeklärt, gemessen? Dokumentiert die Mitgliedschaft bei Adamim bereits die tiefsitzende Tendenz?  Oder wäre dies ganz einfach Unterstützung der Gay-Kultur? Die Schweizer Kirche jedenfalls müsste so von heut auf morgen auf rund 20 Priester verzichten. 

Die erste Antwort der Schweizer Bischöfe auf das Dokument ist gottlob positiv-konstruktiv. Pragmatisch, realistisch, mit gesundem Menschenverstand. Hoffentlich bleibt das so! 

Ein Kandidat muss affektive Reife erlangen, denn diese Reife macht ihn fähig, mit Männern und Frauen in korrekter Beziehung zu stehen. Diese Reife umfasst vier Dimensionen: die menschliche, die geistlich-spirituelle, die intellektuelle und die pastorale. 

Dieser Satz ist wirklich zu unterstreichen. In meiner eigenen Ausbildungszeit wurde auf Abklärung und Förderung dieser Qualitäten wenig Wert gelegt. Leider zieht das Dokument aber falsche Konsequenzen. Die Scheidung der reifen von den unreifen Kandidaten läuft der Linie entlang heterosexuell - homosexuell. In der Logik des Vatikans: Homosexuelle können unmöglich reife Persönlichkeiten werden bzw. sein. Jedem homosexuellen wird die Reife von vornherein abgesprochen. Ein ganz unerhörtes Urteil!! Vom Respekt gegenüber Homosexuellen, wie im Dokument gefordert, bleibt da nicht mehr viel übrig. 

Umgekehrt lädt die Kirche homosexuelle Christen ein, ihrer Berufung zu folgen, in ihrem Leben den Willen Gottes zu verwirklichen und die Schwierigkeiten, die auftreten können (Diskriminierungen, Pflicht zu keuschem Leben, keine Ehe eingehen zu können usw.), mit dem Kreuzesopfer des Herrn zu vereinen. Nur: Um einen solchen Lebensentwurf gesund leben zu können, braucht es ein überdurchschnittliches Mass an menschlicher Reife. Wie ein unreifer Homosexueller aber den Rat der Kirche befolgen soll, lässt sie wohlweislich offen!

Aber zurück zu den Seelsorgern. Meine Devise ist es: Lieber einen reifen schwulen Vikar, wie einen heterosexuell unreifen Kaplan. Auch das soll es nämlich geben! 

Bei jeder Priesterberufung gibt es zwei untrennbare Aspekte: Das freie Geschenk Gottes und die verantwortete Freiheit des Menschen.

So weit so gut. Der Haken ist: Dieses freie Geschenk Gottes ist nicht ganz so frei. Es erreicht den Menschen mittels der Kirche, in der Kirche und durch den Dienst der Kirche. Ich hätte jetzt eher dafür plädiert, dass die Freiheit Gottes recht gross ist; dass sie sich aber der Kirche unterordnen und ihr zudienen muss, geht mir theologisch nicht so ganz in den Kopf.

Aber vielleicht ist's einfach so: Würde Gott sich die Freiheit nehmen und tatsächlich einen schwulen Mann zum Priester berufen, hätte die Kirche ein grosses Problem. So was kommt in der kirchlichen Weltsicht schlicht nicht vor. Und was nicht sein darf, soll's auch nie geben. So muss sich Gott in seiner Freiheit eben etwas einschränken. 

Die Berufung zu den Weihen ist die persönliche Verantwortung des Bischofs. Die Begleitung und Bewertung des Kandidaten ist auch eine schwerwiegende Verpflichtung des Regens, der andern Ausbildungsverantwortlichen des Priesterseminars und nicht zuletzt des Spirituals.

Der Erstverantwortliche für die eigene Formung ist aber der Priesteramtskandidat selber. Es wäre unehrlich, wenn ein Kandidat die eigene Homosexualität verbergen würde.

Wie verlaufen solche Abklärungen konkret? Tun dies Personen mit fachlich-wissenschaftlich fundierter Ausbildung? Werden eventuell auch externe Fachleute beigezogen? Geht es wirklich um die Frage der Reife? Oder soll nur auf Homosexualität "geröntgt" werden? 

Und was ist zu erwarten, wenn ca. 20 - 30% des kirchlichen Personals homosexuell sind. Entlässt ein Bischof 20-30% seines Personals? Bietet ein homosexueller Bischof ehrlicherweise in Rom seinen Rücktritt an? Wie verläuft eine Kandidaten-Abklärung durch einen homosexuellen Spiritual: Umschifft er das Thema einfach, wo's nur geht? Wird er seine nun gestärkte homophobe Energie einsetzen, um die Kirche von homosexuellen Elementen  zu säubern?? Oder konvertiert er zum freikirchlichen Ansatz und organisiert Heilungsseminare?

Und was ich mich auch noch frage: Ob sich die Kandidaten selbst outen werden? Die Erfahrung lehrt, dass viele es nicht einmal bei Freunden und andern nahe stehenden Menschen schaffen. Aber beim Regens soll's ihnen dann leicht von den Lippen gehen?

Noch mehr Ängste, noch mehr Verunsicherung, noch mehr Vereinsamung wird wohl eher die Konsequenz für den Einzelnen sein. Die geistige Not wird verstärkt, die Verheimlichung zementiert, aber wenigstens bleibt die Hetero-Fassade doch gewahrt. Nur: vielleicht will die Kirche dies sogar. Die Homosexualität muss gar nicht aus den Seminarien verbannt werden. Nur in den Seelen der Kandidaten soll sie noch tiefer unten vergraben und eingeschlossen sein. Zugedeckt mit Angst, Drohung, Moralpredigt und Tabuisierung. Und so eingeschüchterte Kandidaten sind gefügig und gehorsam.

Einfach etwas bleibt so ganz gewiss auf der Strecke: Das Wachsen und Werden der affektiven Reife.

Christian Leutenegger

 

«Klarer Inhalt, in der Praxis aber kaum umsetzbar»

Christian Leutenegger, Präsident des Vereins Schwule Seelsorger Adamim, zur Vatikan-Instruktion über die Zulassung von Homosexuellen zum Priesteramt.

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